Nervensystem regulieren und dich selbst besser verstehen (mit 9 einfachen Übungen)

Eine Frau, die sich selbst umarmt

„Ich komm zurzeit gar nicht mehr runter.“
„Ich hab das Gefühl, ich funktioniere nur noch.“
„Ich kann einfach nicht abschalten.“

Kommt dir einer dieser Sätze bekannt vor?
Das sind typische Aussagen, die zeigen, in welchem Zustand sich dein Nervensystem gerade befindet – auch wenn dir das vielleicht gar nicht bewusst ist.

In diesem Blogbeitrag zeige ich dir, wie du erkennen kannst, in welchem Zustand sich dein Nervensystem gerade befindet und was du tun kannst, um dich wieder zu regulieren. 

Dabei nehme ich dich mit durch einen Tag mit Lisas Nervensystem.  So erfährst du ganz anschaulich, wie das Nervensystem funktioniert, und was Auslöser sein können, um von einem Zustand in einen anderen zu kommen. 

Am Ende bekommst Du einfache, alltagstaugliche Werkzeuge an die Hand, die dir helfen können, mehr innere Balance und Sicherheit zu erleben.

Du fühlst dich gerade überfordert und hast keine Zeit, erst einen langen Blogbeitrag zu lesen? Dann geht’s hier zu meiner 10-Minuten-Erste-Hilfe-Anleitung bei emotionaler Überforderung

Was genau ist das Nervensystem?

Wenn ich hier vom Nervensystem spreche, meine ich das autonome Nervensystem, auch vegetatives Nervensystem genannt.
Es steuert lebenswichtige Funktionen wie Herzschlag, Atmung und Verdauung und sorgt dafür, dass unser inneres Gleichgewicht erhalten bleibt. Auch unser Stoffwechsel und viele unbewusste Körperprozesse werden davon beeinflusst.

In diesem Blogbeitrag schauen wir uns zwei zentrale Bestandteile des autonomen Nervensystems an:

  • den Sympathikus, der uns in Handlungsbereitschaft versetzt, die Herztätigkeit steigert und Energie mobilisiert,
  • und den Parasympathikus, der für Regeneration und Entspannung sorgt – er senkt Puls und Blutdruck, aktiviert die Verdauung und hilft uns, Erlebtes zu verarbeiten. Wichtig zu wissen: Der Parasympathikus besteht (grob gesagt) aus zwei Teilen – dem ventralen und dem dorsalen Vagusnerv.

Man kann sagen: Dein Nervensystem ist immer für dich – auch wenn es sich manchmal nicht so anfühlt.
Es will dein Bestes und versetzt deinen Körper in den Zustand, den es auf Grundlage deiner bisherigen Erfahrungen und aktuellen Eindrücke für angemessen hält.

Dabei spielt die Neurozeption eine zentrale Rolle: Sie ist die unbewusste Wahrnehmung deines Nervensystems, die – basierend auf inneren und äußeren Reizen – entscheidet, ob du dich sicher fühlst oder in Alarmbereitschaft gehst.

Lass uns die einzelnen Teile jetzt mal genauer anschauen und einen Blick auf das Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus werfen. 

Welche Nervensystemzustände gibt es?

Es ist selten so, dass nur ein Teil des Nervensystems aktiv ist. Um aber das Zusammenspiel besser zu verstehen, zeige ich dir hier die drei Grundzustände des Nervensystems.

Die 3 Grundzustände des Nervensystems

Die 3 Grundzustände des Nervensystems: Sympathikus, ventraler Vagus und dorsaler Vagus

Übererregung

In diesem Zustand ist dein Sympathikus aktiv. Er versetzt deinen Körper in Alarmbereitschaft und macht dich bereit für Kampf oder Flucht. Wahrnehmbar ist die Sympathikusaktivität häufig durch eine gewisse Unruhe oder Anspannung und den Gedanken „Ich muss etwas tun!“

Regulierter Zustand – Nervensystem in Balance

Wenn der ventrale Vagus aktiv ist, fühlst du dich sicher, entspannt und mit dir selbst und den Menschen um dich herum verbunden. Ein passender Gedanke bei diesem Nervensystemzustand wäre „Es ist alles in Ordnung.“

Untererregung

Wenn dein dorsaler Vagus aktiv ist, fühlst du dich eher wie abgeschaltet. Du fühlst vielleicht innerlich nichts, spürst Leere und Taubheit. Die Aktivierung des dorsalen Vagus geht oft mit einer gefühlten Handlungsunfähigkeit einher.

Du kannst dir das ganze ein bisschen wie ein Thermometer vorstellen. Deb Dana spricht auch von der polyvagalen Leiter. Hier kannst du mehr darüber erfahren: Polyvagale Leiter.

Die folgenden Mischzustände zeigen, wie es aussieht, wenn mehrere Teile des Nervensystems gleichzeitig aktiv sind.

Die 4 Mischzustände des Nervensystems

Die 4 Mischzustände des Nervensystems: Fawn Response, Flow, tiefe Entspannung, Freeze

Fawn Response

Bei der Fawn Response sind sowohl der Sympathikus, als auch der ventrale Vagus aktiv. Unser System ist im Stress und versucht über das soziale Nervensystem (den ventralen Vagus) Sicherheit herzustellen. Oft äußert sich die Fawn Response so, dass man sich sehr anpasst, besonders freundlich und um Harmonie bemüht ist, auch wenn es sich im Inneren häufig nicht echt und nicht stimmig anfühlt. Außerdem werden die eigenen Grenzen dabei oft übergangen. Die Fawn Response ist häufig unbewusst. Wir merken gar nicht, wie sehr wir uns anpassen, weil es so sehr ein Teil von uns geworden ist.

Flow

Der Flow-Zustand ist natürlich ein sehr beliebter Zustand. 🙂 Wir sind ganz im Hier und Jetzt, verbunden mit dem, was wir gerade tun, oder mit den Menschen, mit denen wir im Kontakt sind.

Der ventrale Vagus ist aktiv und wir fühlen uns sicher, präsent und lebendig. gleichzeitig ist der Sympathikus leicht aktiviert, denn wir sind in Bewegung, kreativ oder konzentriert tätig.

Flow-Zustände erleben wir zum Beispiel beim Musizieren, Schreiben, Klettern oder Malen – oder auch in einem tollen Gespräch mit einem Menschen, wo wir hinterher sagen „wow, die Zeit ist verflogen!“

Flow entsteht häufig dort, wo unsere Fähigkeiten und die Herausforderung in Balance sind – also wenn wir gefordert, aber nicht überfordert sind.

Tiefe Entspannung

Bei der tiefen Entspannung ist der ventrale Vagus aktiv. Wir fühlen uns verbunden mit uns selbst oder mit einer anderen Person. Gleichzeitig ist der dorsale Vagus aktiv, der für Ruhe und Immobilität sorgt. Beispiele, in denen die tiefe Entspannung erfahren werden kann, sind Meditation, im Shavasana am Ende der Yoga-Praxis, oder beim Kuscheln mit einem lieben Menschen. Dieser Zustand ist besonders nährend für unser System – er ermöglicht Regeneration und unterstützt die tiefe Verarbeitung von Eindrücken.

Freeze

Im Freeze-Zustand ist unser Nervensystem in einem Zustand von gleichzeitiger Aktivierung und Blockade. Es gibt viel Energie im System – wir sind in Alarmbereitschaft, wollen vielleicht weglaufen, etwas sagen oder uns wehren – aber gleichzeitig ist etwas in uns blockiert.
Der Körper ist wie eingefroren. Wir fühlen uns wie gelähmt, handlungsunfähig – und gleichzeitig innerlich unruhig, angespannt oder überfordert.
Oft beschreiben Menschen diesen Zustand als „Ich müsste etwas tun – aber ich kann nicht.“ Oder: „Ich bin wie neben mir.“

Der Freeze-Zustand entsteht, wenn unser Nervensystem eine Situation als bedrohlich einstuft, aber Flucht oder Kampf nicht möglich oder zu gefährlich erscheinen. Dann schaltet es in eine Art Schutzmodus – zwischen Aktivierung (Sympathikus) und Abschaltung (dorsaler Vagus).

Häufig ist dieser Zustand auch ein erlerntes Verhalten, das sich in früheren belastenden Erfahrungen entwickelt hat, um mit Überforderung und Gefahr umzugehen.

Auch wenn dieser Zustand sehr unangenehm sein kann: Er ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein tief verankerter Überlebensmechanismus.

Es kann hilfreich sein, diesen Zustand behutsam wahrzunehmen, ohne Druck – und sich Schritt für Schritt wieder ins Spüren und in Bewegung zu bringen. Zum Beispiel durch sanfte Impulse, wie z. B. den eigenen Körper wahrnehmen, die Umgebung anschauen oder ein wenig Bewegung, wenn das möglich ist.

Jetzt hast du einen ersten Überblick über die verschiedenen Zustände. Um das Ganze noch etwas anschaulicher zu machen, nehme ich dich nun mit durch den Tag von Lisa aus der Perspektive des Nervensystems.

Ein Tag mit Lisas Nervensystem

7 Uhr

Lisa wacht morgens auf und hat schon keine Lust auf gar nichts. Am liebsten will sie sich die Decke wieder über den Kopf ziehen. Irgendwie schält sie sich doch aus dem Bett. Ihre Beine sind schwer. Sie schlurft in die Küche und macht sich einen Kaffee. Ohne Kaffee geht sowieso gar nichts. Ihr dorsaler Vagus ist aktiv.

9 Uhr

Auf der Arbeit angekommen checkt Lisa ihre Mails und bekommt einen riesen Schreck. Ihr Teamleiter will mit ihr über ihre letzte Präsentation reden und hat einen Termin für die beiden eingestellt. Sie befürchtet das Schlimmste und bemerkt, wie ihr Herz zu rasen beginnt und ihr flau im Bauch wird. (Obwohl sie weiß, dass ihr Teamleiter eigentlich ein cooler Typ ist.) Ihr Sympathikus ist aktiv, der Kampf-und-Flucht-Modus.

10 Uhr

Das Gespräch mit ihrem Chef lief super. Er hat ihr gesagt, wie toll er ihre Präsentation fand. Sie fühlt sich gesehen, wertgeschätzt und in ihrer Leistung anerkannt. Ihr ventraler Vagus ist aktiv – der Teil ihres Nervensystems, der für Verbundenheit steht.

11 Uhr

Lisa hat ein Meeting, bei dem das weitere Vorgehen in einem Projekt besprochen werden soll. Sie macht verschiedene Vorschläge und begründet diese. Es kommen keine Reaktionen von ihren Teammitgliedern, außer ein kurzes „hm, okay.“ Wenig später macht ein Kollege genau dieselben Vorschläge wie sie und alle so „Hey, mega! So machen wir das!“ Lisa kocht innerlich vor Wut und fühlt sich gleichzeitig völlig erstarrt und fassungslos. Ihr Sympathikus ist aktiviert (hohes Stresslevel) bei gleichzeitiger Erstarrung (dorsaler Vagus ist aktiv). Sie weiß sich nicht anders zu helfen, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, lächelt und nickt freundlich. Ihr Sympathikus ist im Stress, gleichzeitig ist der ventrale Vagus aktiv. Lisa befindet sich in der Fawn Response.

14 Uhr

Am Nachmittag widmet Lisa sich einer neuen Aufgabe. Sie wurde gebeten, Lösungsvorschläge zu erarbeiten, um die Zusammenarbeit im Team zu verbessern. Sie liebt es, Probleme zu lösen und Ideen zu entwickeln. Sie kommt in den Flow, ihr ventraler Vagus und ihr Sympathikus sind aktiv.

18 Uhr

Nach diesem anstrengenden Tag, der sie durch alle Höhen und Tiefen ihres Nervensystems geführt hat, kommt Lisa nach Hause. Ihr Partner erwartet sie schon und hat etwas für sie gekocht. Sie sitzen gemeinsam am Tisch und erzählen sich vom Tag. Danach kuscheln sie sich zusammen auf die Couch. Lisa fühlt sich wohlig und entspannt. Während er ihren Kopf massiert, schnurrt sie wie eine zufriedene Katze und der gesamte Stress des Tages fällt von ihr ab. Der ventrale Vagus und der dorsale Vagus sind aktiv – tiefe Entspannung.

Wow, das war ein ganz schönes Auf und Ab, oder?
Unser Nervensystem hilft uns, mit verschiedensten Situationen umzugehen. Aber manchmal schießt es ein wenig über das Ziel hinaus. Warum unser Nervensystem manchmal dysreguliert ist, erfährst du im nächsten Abschnitt.

Warum ist das Nervensystem dysreguliert?

Vielleicht fragst du dich, ob der oben beschriebene Tagesablauf „normal“ ist. Auch wenn das Ganze natürlich ein wenig konstruiert ist, um dir alle Zustände einmal bildlich zu zeigen, ist es ein durchschnittlicher Nervensystem-Tagesablauf und liegt irgendwo in der Mitte zwischen „total reguliertes Nervensystem“ und „Nervensystem außer Rand und Band“ (was oft mit schweren Symptomen einhergeht).

Warum das Nervensystem dysreguliert sein kann, möchte ich hier nur kurz anreißen. Es wird dazu einen weiteren, ausführlichen Blogbeitrag geben.

Also, wie kommt es, dass der dorsale Vagus morgens so aktiv ist, dass man sich nur mit Mühe aus dem Bett quält? Es kann sein, dass man schon lange im Funktionieren-Müssen-Modus unterwegs ist und man deshalb eine grundlegende Erschöpfung fühlt. Auch ein Gefühl von Einsamkeit und fehlender Verbundenheit (was oft mit dem Funktionieren-Müssen-Modus einhergeht) kann zu einer Aktivierung des dorsalen Vagus führen.

Warum hat die Email vom Chef unsere Protagonistin so in ihren Sympathikus katapultiert? Eine mögliche Erklärung ist: Vielleicht hatte Lisa einen autoritären Vater, der ständig an ihr rumkritisiert hat. In ihrem Chef, der vielleicht eine väterliche Ausstrahlung hat, sehen ihre kindlichen Anteile eine Art Vater und befürchten nun das Schlimmste, wenn er sie sprechen will. Ihr kindlicher Anteil denkt vielleicht: „Wahrscheinlich habe ich wieder was angestellt und jetzt wird geschimpft!“

Und die Sache mit dem Meeting? Auch hier kann es eine biografische Erfahrung von Lisa sein. Vielleicht hat sie als Kind oft die Erfahrung gemacht, nicht gehört und nicht ernst genommen zu werden. Als Kind war sie dem ausgeliefert – was soll man als Kind auch schon groß machen, wenn man nicht ernst genommen wird? Im Meeting fühlt sie sich handlungsunfähig und erstarrt. Weil sie aber als Kind gelernt hat, dass Wut nicht gut ankommt bei ihren Bezugspersonen, übergeht sie auch als Erwachsene ihren aufsteigenden Ärger. Sie möchte gemocht und anerkannt werden (das gibt Sicherheit) und bekommt deswegen keinen Wutanfall, sondern lächelt freundlich.

Lisa hat das Glück, dass sie sich am Ende dieses aufregenden Tages co-regulieren kann. Sie hat einen liebevollen Partner, mit dem sie sich austauschen kann. Der Körperkontakt beruhigt sie und so kann ihr Nervensystem am Ende des Tages runterfahren.

Aber vielleicht hätte Lisa sich gerne im Team-Meeting zur Wehr gesetzt und hätte gern souveräner darauf reagiert, dass ihr Wortbeitrag ignoriert wurde?

Vielleicht hätte sie sich gerne nach der Email vom Chef selbst beruhigt, ihrem Nervensystem zu verstehen gegeben, dass es in Sicherheit ist? Dafür ist Nervensystemregulation gut. Mehr darüber erfährst du im nächsten Abschnitt, let’s go!

Was ist Nervensystemregulation und was bringt es, das Nervensystem zu regulieren?

Nervensystemregulation bedeutet nicht, dass du ständig super gechillt bist und wie ein Mönch auf der Meditationsmatte sitzt und über alles milde lächeln kannst. Es bedeutet vielmehr, dass du flexibel zwischen den Zuständen hin- und herwechseln kannst, ohne irgendwo „festzuhängen“, sondern dich selbst beruhigen kannst, wenn es notwendig ist und dich selbst aktivieren kannst, sollte das notwendig sein.

Das bringt dir die Nervensystemregulation auf lange Sicht:

  • Du fühlst dich innerlich stabiler und kannst Kritik oder bestimmten Aussagen von Menschen, die dich früher getriggert haben, gelassener entgegentreten.
  • Wenn Emotionen kommen, kannst du sie halten und wahrnehmen, ohne überwältigt zu werden.
  • Wenn du öfter deinen ventralen Vagus aktivierst, können sich deine Beziehungen verbessern: Du fühlst dich mehr verbunden mit deinen Mitmenschen und beginnst, dich sicherer zu fühlen im Kontakt.
  • Du lernst, dich selbst besser zu spüren und kannst deine Bedürfnisse und Grenzen besser wahrnehmen.
  • Körperliche Beschwerden können nachlassen: Ein dysreguliertes Nervensystem geht oft mit Verspannungen, Erschöpfung und/oder Schlafproblemen einher. Regelmäßiges Üben hilft , dein Nervensystem nachhaltig ins Gleichgewicht zurückzubringen.
  • Kindheitsprägungen beeinfflussen dich weniger. Du kannst leichter aus alten Mustern aussteigen und souverän agieren.

Zunächst geht es aber darum, dass du erkennst, in welchem Zustand sich dein Nervensystem gerade befindet. Das schauen wir uns als nächstes an:

Nervensystemzustände erkennen

Es gibt verschiedene Merkmale, anhand derer du erkennst, in welchem Zustand dein Nervensystem gerade ist. Wenn du deinen Nervensystemzustand erkannt hast, kannst du eine entsprechende Übung auswählen, um dich wieder in deine Mitte zu bringen.

Im Folgenden zeige ich dir die jeweiligen Erkennungzeichen

– für eine Sympathikus-Aktivierung (Übererregung),
– die Aktiviertung des dorsalen Vagus (Untererregung)
– und die Aktivierung des ventralen Vagus (balancierter Zustand).

Erkennungszeichen für Übererregung

Emotionale, körperliche, kognitive und soziale Erkennungszeichen für ein Nervensystem in der Übererregung

Übererregung zeigt sich in verschiedenen Bereichen unseres Erlebens und Verhaltens. Wenn das Nervensystem zu stark aktiviert ist, können folgende Symptome auftreten:

  • Kognitiv: Es fällt schwer, sich zu konzentrieren, Gedanken kreisen in Sorgen und Grübeleien, und es gelingt nicht gut, zu planen oder Entscheidungen zu treffen.

  • Emotional: Gefühle wie Wut, Angst, Panik oder Reizbarkeit treten auf und können schwer zu kontrollieren sein.

  • Antrieb und Motivation: Es entsteht ein zwanghaftes Gefühl, sich anstrengen zu müssen, gepaart mit Kontrollzwängen, Perfektionismus oder dem ständigen Drang, „funktionieren“ zu müssen.

  • Wahrnehmung: Das Nervensystem reagiert empfindlich auf Reize aus der Umgebung, auf allen Sinneskanälen können Eindrücke intensiver wahrgenommen werden.

  • Sozial: Es kann schwieriger sein, Augenkontakt zu halten; Gespräche verlaufen oft schnell, mit Unterbrechungen oder einem Gefühl, nicht wirklich zuzuhören.

  • Körperlich: Der Körper zeigt sich angespannt, mit Symptomen wie flacher oder erschwerter Atmung, Schreckhaftigkeit, erhöhtem Puls, Schweißausbrüchen, erhöhtem Muskeltonus oder Schlafproblemen.

Erkennungszeichen für Untererregung

Emotionale, körperliche, kognitive und soziale Erkennungszeichen für ein Nervensystem in der Untererregung

Untererregung entsteht, wenn das Nervensystem in einen Zustand von Rückzug oder Erstarrung wechselt – oft als Reaktion auf Überforderung oder als Schutz. Dieser Zustand kann sich auf vielen Ebenen zeigen:

  • Körperlich äußert sich Untererregung zum Beispiel durch schlaffen Muskeltonus, blasse Haut oder einen fixierten, glasigen Blick.

  • Emotional kann sich ein Gefühl von innerer Leere, Apathie oder Leblosigkeit einstellen – oft verbunden mit dem Eindruck, keinen Zugang zu den eigenen Gefühlen zu haben.

  • Kognitiv zeigen sich Anzeichen wie Denkblockaden, ein „leerer Kopf“, verlangsamtes Antworten, Schwierigkeiten beim Planen oder Entscheiden, oder auch eine verlangsamte Sprache.

  • Sozial wirkt sich dieser Zustand häufig in Form von Rückzug, innerer Unverbundenheit oder dem Gefühl aus, nicht mehr wirklich verbunden zu sein – weder mit sich selbst noch mit anderen. Die Interaktionsfähigkeit kann sich wie „abgeschaltet“ anfühlen. Häufig treten auch dissoziative Zustände auf, die äußerlich nach Ruhe aussehen (z. B. Serienmarathon oder Scrollen), aber innerlich keine echte Erholung bringen.

  • Antrieb und Motivation sind stark vermindert: Dinge erscheinen sinnlos, Motivation fehlt, Gleichgültigkeit breitet sich aus.

Erkennungszeichen für ein Nervensystem in Balance

Emotionale, körperliche, kognitive und soziale Erkennungszeichen für ein Nervensystem in Balance

Wenn unser Nervensystem in Balance ist, fühlen wir uns innerlich ruhig, verbunden und lebendig. Wir sind in Kontakt mit uns selbst und der Welt, können klar denken, fühlen und handeln – ohne überfordert oder abgeschaltet zu sein. Dieser Zustand ist nicht perfekt oder statisch, sondern lebendig und flexibel. Wir können auf Herausforderungen reagieren, ohne darin unterzugehen, und kehren immer wieder in unsere innere Mitte zurück.

Soziale Signale für ein reguliertes Nervensystem sind etwa: zugewandtes, präsentes Zuhören, Freude im Kontakt mit anderen, ein lebendiger, freundlicher Blick und das Gefühl echter Verbundenheit – mit sich selbst und dem Gegenüber.

Emotional erleben wir innere Ruhe, Ausgeglichenheit, Lebendigkeit und ein Gefühl von Sicherheit. Wir können Gedanken und Gefühle beobachten, ohne von ihnen überrollt zu werden – und haben die Flexibilität, bewusst zu handeln, statt reflexhaft zu reagieren.

Körperlich zeigt sich Balance in einer gleichmäßigen, tiefen Atmung, entspannter Muskulatur, einem gesunden Energielevel und guter Schlafqualität. Der Körper fühlt sich wach, aber nicht getrieben an.

Kognitiv spüren wir Klarheit, Entscheidungsfähigkeit und ein gutes Konzentrationsvermögen. Der Kopf ist frei genug, um zu denken – aber nicht überfrachtet mit Grübeleien.

Ein Nervensystem in Balance bedeutet nicht, immer „ruhig“ zu sein – sondern in einem Zustand, in dem Verbindung, Selbstregulation und lebendiges Handeln möglich sind.

Jetzt kennst du die drei Kategorien mit ihren Merkemalen. Vielleicht fragst du dich, warum ich nicht näher auf die Mischzustände eingehe. Um damit zu beginnen, sein Nervensystem kennen zu lernen, ist es absolut ausreichend, sich selbst in eine der drei Kategorieren (Übererregung, Untererregung und balancierter Zustand) einzuordnen. Mit der Zeit wirst du selbst immer feiner wahrnehmend für die „Zwischenzustände.“

Wenn du Lust hast, überlege gerne einmal, ob dein Nervensystem einen „Lieblingszustand“ hat oder spüre einmal in dich hinein, wo du dich gerade verorten würdest – in der Untererregung, der Übererregung oder sicher und entspannt im ventralen Vagus?

Wenn du so weit bist, lies gerne weiter, welche Übungen dir helfen können um aus deinem aktuellen Zustand herauszukommen oder wie du deinen ventralen Vagus unterstützen kannst.

Übungen: So kannst du dein Nervensystem regulieren

Es geht bei der Nervensystemregulation nicht darum, Gefühle oder Körperempfindungen „weg“ zu bekommen. Es geht vielmehr darum, deinem Nervensystem  beizubringen, lebendig zu „pulsieren“ und zwischen den Zuständen zu wechseln.

So kannst du die Übungen anwenden

Bevor du mit einer Nervensystemübung beginnst, lade ich dich ein, erst einmal in dich hineinzuspüren und wahrzunehmen, was gerade da ist. Du kannst es gerne auch laut aussprechen, zum Beispiel: Mein Atem ist sehr flach und ich fühle mich erschöpft. Durch das Wahrnehmen, ohne es zu bewerten, gibst du deinem Körper und deinem Nervensystem erste Zeichen von Sicherheit: „Es ist okay so, wie es ist.“
Sollte es sich sehr unangenehm anfühlen, in deinen Körper zu spüren, dann versuche gerne, etwas an der Peripherie deines Körpers wahrzunehmen. Vielleicht, wie sich deine Hände oder Füße anfühlen.

Wenn du dich selbst einem Zustand zuordnen konntest, suche dir die entsprechenden Übungen raus. 

Falls du gerade nicht richtig zuordnen kannst, ob du in der Unter- oder Übererregung bist oder wenn du dich als ausgeglichen erlebst und dir einfach so etwas Gutes tun willst, kannst du die Übungen für mehr Balance machen.

Übungen, um aus der Übererregung zu kommen

Nervensystem regulieren: Übungen, um aus der Übererregung zu kommen

Wenn dein Nervensystem in einem übererregten Zustand ist, kann es hilfreich sein, sanfte Impulse zu setzen, die es beim Runterregulieren unterstützen. Dabei geht es nicht darum, dich „runterzuzwingen“, sondern deinem System Sicherheit und Entspannung anzubieten.

Langsam werden: Achtsamer Spaziergang

Ein erster Schritt kann sein, das Tempo zu verlangsamen – zum Beispiel bei einem achtsamen Spaziergang. Geh bewusst langsam, spüre den Boden unter deinen Füßen und richte deine Aufmerksamkeit auf deinen Körper oder deine Umgebung.

Ausatmen verlängern: Atemtechnik zur Aktivierung des Parasympathikus

Auch dein Atem kann eine kraftvolle Ressource sein: Versuche, den Ausatem zu verlängern – das beruhigt das Nervensystem. Atme durch die Nase ein und langsam durch den Mund aus. Achte darauf, dass der Ausatem etwas länger dauert als der Einatem. So aktivierst du deinen ventralen Vagus und kommst in einen entspannteren Zustand.

Wut abbauen: Kontrolliertes Drücken gegen die Wand

Bei starker Wut oder innerer Anspannung kann es entlastend sein, deinem Körper einen Kanal zu geben, um die überschüssige Energie kontrolliert abzugeben. Stell dich an eine stabile Wand und drücke mit den Händen oder Armen fest dagegen – mit kontrolliertem Druck, nicht mit Gewalt. Du kannst das bei Bedarf mehrmals wiederholen.

Übungen, um aus der Untererregung zu kommen

Nervensystem regulieren: Übungen, um aus der Untererregung zu kommen

Wenn dein Nervensystem in einem Zustand von Untererregung ist, kann es helfen, sanft Energie ins System zu bringen. Wichtig ist dabei nicht, dich zu „aktivieren“, weil du funktionieren sollst – sondern dich liebevoll aus dem Gefühl von Starre oder innerer Leere zurück ins Spüren und in Bewegung zu begleiten.

Körper wecken: Selbstmassage & Abklopfen

Ein möglicher Einstieg ist Selbstmassage: Fang bei den Füßen an oder massiere große Muskelgruppen wie Oberschenkel oder Arme. Auch leichtes Abklopfen von Brust, Rücken oder Schultern kann helfen, wieder mehr im Körper präsent zu sein. 

Lebendigkeit spüren: Tanze zu deiner Lieblingsmusik

Wenn du dich danach fühlst, probier Tanzen zu Musik, die dir Freude macht. Erstell dir eine Playlist mit Liedern, zu denen du dich gern bewegst – und fang einfach an. Es muss nicht „schön“ sein, im Gegenteil, es kann sogar sehr befreiend sein, bewusst „komisch“ zu tanzen, auch wenn es sich anfangs sehr ungewohnt anfühlt. 

In Schwung kommen: Zügiger Spaziergang gegen Starre

Auch ein zügiger Spaziergang kann dein System sanft in Gang bringen. Das bewusste, etwas schnellere Gehen bringt Energie ins System – ohne zu überfordern. Spür den Boden, atme bewusst und bleib in Bewegung.

Übungen für Balance und Verbundenheit

Nervensystem regulieren: Übungen für mehr Balance

Diese Übungen unterstützen dich, wenn du nicht akut über- oder untererregt bist, sondern dich etwas angespannt, funktional oder innerlich unverbunden fühlst – und dir wünschst, wieder weicher mit dir selbst in Kontakt zu kommen.

Selbstberührung für Verbundenheit: Ohren & Hals sanft ausstreichen

Eine einfache Möglichkeit ist die sanfte Berührung entlang des ventralen Vagusnervs: Massiere dafür deine Ohren und streiche mit den Händen langsam und achtsam an den Seiten deines Halses entlang nach unten Richtung Herz. Diese Region ist direkt mit dem ventralen Vagus verbunden. 

Dankbarkeit als Ressource: Drei Dinge pro Tag

Dankbarkeit wirkt verbindend und regulierend: Überlege dir drei Dinge, für die du heute dankbar bist – so klein sie auch erscheinen mögen. Wenn du magst, mach daraus ein tägliches Ritual und notiere sie schriftlich. Dankbarkeit kann helfen, den Fokus auf Ressourcen zu lenken und das Nervensystem zu stabilisieren.

Vielleicht denkst du beim Thema Dankbarkeit, „Boah, das ist doch so alt und hat schon nen langen Bart!“ Ich versteh dich. Da es aber so unglaublich hilfreich ist, mag ich dir die Übung trotzdem mitgeben.

Summen und Singen zur Vagus-Aktivierung

Singen oder Summen aktiviert auf sanfte Weise den ventralen Vagus, besonders über die Schwingung im Kehlbereich. Auch hier geht es nicht um Performance oder darum, besonders schön zu singen, sondern um Klang, Vibration und Freude.

Es ist sinnvoll, die Übungen auch dann regelmäßig anzuwenden, wenn dein Nervensystem nicht akut dysreguliert ist. Dein Nervensystem lernt durch Wiederholung und wenn es die Übung schon kennt, funktioniert sie in der akuten Situation besser.
Im nächsten Abschnitt zeige ich dir, wie du die Übungen leicht in deinen Alltag integrieren kannst.

Nervensystemregulation in den Alltag integrieren

Viele Klientinnen berichten mir, dass es für sie schwierig ist, die Nervensystem-Übungen in den Alltag einzubauen. Auch aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwierig das sein kann. Darum habe ich hier ein paar Ideen für dich, wie es leichter gehen kann:

Gabelung, rechts geht es zu Reguliertes Nervensystem, nach links geht es Richtung Dysreguliertes Nervensystem.
  • Es ist super gut, wenn du gleich morgens eine kleine Übung für dich machst. Vielleicht kennst du die Worte „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ von Hermann Hesse. Wenn du deinen Tag reguliert startest, gibst du ihm gleich eine gute Richtung.

  • Super hilfreich ist auch, mit einer liebevollen Haltung an die Übungen ranzugehen: Nicht mit „Ich muss das jetzt machen, ich hab mir das schließlich vorgenommen, sondern „Ich tue es für mich und für mein zukünftiges Ich.“

  • Sieh es als Experiment an. Geh mit Neugier an die Sache ran. Es geht nicht darum, Erfolg zu haben, oder etwas Bestimmtes zu erreichen. Es geht darum, etwas Neues über dich zu lernen. 

  • Vielleicht gibst du dem Experiment einen zeitlichen Rahmen, zum Beispiel „Ich probier das jetzt mal für eine Woche und schaue, wie es ist. Danach entscheide ich neu.“
  • Es wird leichter: Wenn du die ersten Auswirkungen deiner Nervensystem-Routine spürst und du merkst, wie gut es dir tut, wirst du intrinsisch motiviert und möchtest aus dir selbst heraus weitermachen

  • Weitere Tipps, wie man es schafft, sich regelmäßig Gutes zu gönnen, findest du in meinem Blogbeitrag Gute Gewohnheiten etablieren

Nervensystemregulation schenkt dir mehr Lebensqualität

Wow. Danke, dass du bis hier hin gelesen hast. Das zeigt, dass dir dein Nervensystem wichtig ist und dir dein Wohlbefinden am Herzen liegt.

Lass uns einmal zusammenfassen:

  • Du hast die verschiedenen Zustände des Nervensystems kennen gelernt,
  • du weißt nun, wie du herausfindest, in welchem Zustand sich dein Nervensystem gerade befindet,
  • du kennst Übungen, mit denen du dich wieder in die Wohlfühlzone hineinregulieren kannst
  • und du weißt, wie du sie in den Alltag integrieren kannst.

Dein Nervensystem liebt Wiederholung. Wenn du die Übungen regelmäßig anwendest, wirst du staunen, wie sich dein Leben zum Besseren verändert. Du wirst merken, wie du innerlich ruhiger wirst, dich verbundener fühlst mit dir selbst und deiner Umgebung.

„Du wirst dich so sicher fühlen, dass du dich in das Leben verliebst und dich leichter auf seine Risiken einlassen kannst.“ 

Deb Dana

Du möchtest tiefer einsteigen und mit mir gemeinsam üben, dein Nervensystem zu regulieren? Dann schreib mir gerne für ein kostenfreies Kennenlerngespräch!

Weiterführende Ressourcen

Hier kannst du dir die Übungen und die Erkennungszeichen für die Nervensystemzustände herunterladen und ausdrucken.

Bücher:

  • Stephen Porges: Die Polyvagal-Theorie und die Suche nach Sicherheit.
  • Deb Dana: Die Polyvagaltheorie in der Therapie. Den Rhythmus der Regulation nutzen.

Kartenset: Verena König: Verbinde dich mit dir selbst: Finde Sicherheit im Hier und Jetzt – 56 Impulse zur Selbstregulation.

Web: https://polyvagal-akademie.com

Blogbeitrag: Der Einbrecher, mein Nervensystem und wie es NICHT zum Trauma kam

Ute Drechsler

Hey, ich bin Ute!
Ich begleite introvertierte und hochsensible Frauen sowie Menschen mit frühem Trauma dabei, sich selbst besser zu verstehen, ihre Grenzen zu setzen und ihr Leben mit mehr Leichtigkeit zu gestalten. 

Früher hab ich mich oft falsch gefühlt – zu leise, zu empfindsam, zu anders. Heute weiß ich: Ich bin genau richtig so, wie ich bin. Wenn du mehr über mich erfahren möchtest, dann geht es hier entlang: Zur Über-Mich-Seite

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